Neuer Mazedonischer Außenminister Dimitrov im Interview mit Der Standard

"Wir wollen, dass Mazedonien der 30. Nato-Staat wird"

Der neue prowestliche Außenminister von Mazedonien Nikola Dimitrov will das Land möglichst schnell in die euroatlantischen Strukturen integrieren und streckt die Hand zu den Nachbarn aus

Seit hundert Tagen ist in Mazedonien die Sozialdemokratische Partei (SDMS) unter Premier Zoran Zaev gemeinsam mit einigen Albaner-Parteien an der Macht. Mazedonien hat seit 2005 den EU-Kandidatenstatus, wird aber von Griechenland blockiert. Griechenland hat Sorge, dass mit dem Namen Mazedonien – so heißt auch eine Region in Nordgriechenland – territoriale Ansprüche verbunden sind und will den Staat, der 1991 seine Unabhängigkeit erlangte, nur unter einem anderen Namen anerkennen. Weil Griechenland durch seine Veto-Möglichkeit in der EU und in der Nato in einer viel mächtigeren Position ist, ist eine Lösung nur mit viel diplomatischen Aufwand von dritter Seite möglich. Die neue Regierung in Skopje will aber von der bisherigen provokanten und nationalistischen Haltung abrücken, um einen Kompromiss leichter zu machen. Das Interview wurde im slowenischen Bled geführt. Jedes Jahr Ende des Sommers lädt die slowenische Regierung zahlreiche Politiker aus Europa zum Strategic Forum nach Bled ein.

STANDARD: Sie haben sich kürzlich wieder mit dem griechischen Außenminister Nikos Kotzias getroffen. Gibt es eine Chance, dass der Namensstreit gelöst wird?

Dimitrov: Wir haben eine Absichtserklärung unterschrieben, im Bereich des diplomatischen Trainings zusammenzuarbeiten und wir haben uns geeinigt, beim Krisenmanagement zu kooperieren, insbesondere bei sommerlichen Bränden und bei Überschwemmungen. Das ist die Basis, auf der wir Vertrauen bilden.

STANDARD: Was könnte die Rolle vom UN-Mediator Matthew Nimetz im Namensstreit sein?

Dimitrov: Beide Seiten finden diese Rolle weiter nützlich. Herr Nimetz wird den Prozess wieder in Gang setzen, der für eine Weile gestoppt war. Er wird definitiv noch vor Jahresanfang damit beginnen.

STANDARD: Wie soll sich die Beziehung zu Griechenland ändern?

Dimitrov: Wir wollen zeigen, dass es nicht darum geht, sich wechselseitig auszutricksen. Die Unterstützung der neuen positiven Dynamik in Mazedonien ist auch im Interesse Griechenlands. Griechenland ist seit langem Nato- und EU-Mitglied und daher in einer wichtigen geopolitischen Position. Hoffentlich geht diese mit visionärer Verantwortung einher.

STANDARD: Wie war die Atmosphäre bei den Gesprächen?

Dimitrov: Offen. Ehrlichkeit ist der erste Schritt zur Lösung jeder Frage und zum Aufbau einer Freundschaft. Und ich glaube, wir haben es geschafft, dorthin zu gelangen. Es gibt Bereitschaft auf beiden Seiten, die Gespräche neu zu starten.

STANDARD: Gibt es einen Zeitplan?

Dimitrov: Es ist schwierig, darüber zu sprechen. Wir müssen uns des Kontextes bewusst sein. Der Wendepunkt trat erst vor weniger als vier Monaten ein, Ende April, als einem verärgerten Mob von der Polizei erlaubt wurde, in das Parlament in Skopje einzudringen. Die Polizei folgte damit den Befehlen der Partei VMRO-DPNE von Ex-Premierminister Nikola Gruevski – statt der Verfassung. Daher ist unsere Hauptbotschaft: Wir brauchen Gewaltenteilung: freie Medien, unabhängige Gerichte, ein funktionierendes Parlament und eine Gesellschaft, in der jeder vor dem Gesetz gleich und rechenschaftspflichtig ist. Die zweite Lektion ist, dass es weder eine nachhaltige noch eine verantwortliche Strategie ist, wenn man jemanden in einem Wartezimmer einsperrt. Mazedonien ist seit zwölf Jahren im Wartezimmer der EU und seit neun Jahren im Wartezimmer der Nato. Wir müssen die Türen öffnen.

STANDARD: Ist der erste Schritt der Beitritt zur Nato?

Dimitrov: Als ich Athen besucht habe, habe ich gebeten: Bitte überdenken Sie, was Sie für einen Nachbar haben möchten und welche Auswirkungen das wahrscheinlich auf Sie haben wird. Überlegen Sie, uns unter der provisorischen Bezeichnung der Uno "Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien" (FYROM) in die Nato eintreten zu lassen.

STANDARD: Und was war die Antwort Griechenlands?

Dimitrov: Offensichtlich wurde das nicht sofort begrüßt. Aber ich werde nicht aufgeben, diese Botschaft immer wieder zu senden. Denn erstens ist die euroatlantische Integration ein vereinigender Faktor in unserer multiethnischen Gesellschaft; und zweitens sendet der Beitritt zur Nato eine wichtige Botschaft aus: Dieses Land bleibt dauerhaft innerhalb der bestehenden Grenzen. Das würde auch alternative Szenarien beseitigen, im Fall, dass die europäische Agenda schwächer wird. Zweitens: Wenn man die Perspektive des Nachbarn für so viele Jahre blockiert, macht man die Nachbarn defensiv. Der Nato-Beitritt von Mazedonien ist eine Gelegenheit, die beiden Nationen näher zu bringen und es ist eine Investition in die Lösung der offenen Namensfrage. Ein Beitritt unter der vorläufigen Benennung der Uno, also Fyrom, ist zudem im Einklang mit dem Zwischenabkommen und dem Beschluss des Internationalen Gerichtshofs im Jahr 2011. Die Namensfrage sollte kein Vorwand sein, um den Beitritt zu blockieren.

STANDARD: Bekommen Sie Unterstützung von den USA?

Dimitrov: Der Neuanfang in Mazedonien ist auch eine Chance für den Westen. Er hat Auswirkungen auf die europäische und US-Politik in der Region. Es wäre nicht verantwortlich, sich abzuwenden. Außerdem ist es gut für Europa, zu zeigen, dass es nicht nur eine Krise stoppen, sondern auch eine erfolgreiche Geschichte auf dem Balkan vorantreiben kann. Es gibt eine Region, in der Europa etwas bewirken kann, und das ist definitiv der Balkan. Wir sind von Mitgliedsstaaten umgeben. Der Balkan liegt geografisch nicht an der Peripherie Europas, nur an der Peripherie der Aufmerksamkeit. Wirtschaftlich sind wir vollständig in die EU integriert. 47 Prozent der mazedonischen Exporte gehen nach Deutschland. Alle Balkan-Volkswirtschaften sind zur Gänze mit der EU verbunden. Mit etwas Aufmerksamkeit und Ehrlichkeit sollte der Job auf dem Balkan beendet werden und die Türen sollten für Mazedonien geöffnet werden.

STANDARD: Der Westen ist wegen des steigenden geopolitischen Einflusses von Russland an der euroatlantischen Integration des Balkans interessiert. Wie reagiert Russland auf die Bestrebungen Mazedoniens, der Nato beizutreten?

Dimitrov: 71 Prozent der Bürger von Mazedonien möchten sich der Nato anschließen – diese Unterstützung geht über ethnische Linien und die Linien von Parteien hinweg. Montenegro ist das 29. Mitglied. Und wir wollen, dass Mazedonien der 30. Nato-Staat wird.

STANDARD: Wann könnte das möglich sein?

Dimitrov: Zuerst müssen wir uns mit den Bedenken auseinandersetzen, die auf dem Nato-Gipfel in Warschau Gipfel 2016 aufgebracht wurden, nämlich Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit zu gewährleisten. Die mediale Situation hat sich bereits erheblich verbessert, ohne dass eine einzige gesetzliche Regelung geändert wurde. Wir haben einfach die Finanzierung von staatlichen Werbespots als Instrument zur Beeinflussung der redaktionellen Politik gestoppt.

STANDARD: Welche Rolle spielt Russland?

Dimitrov: Es ist verständlich, dass große globale Mächte ihren Einfluss in der internationalen Arena vermitteln. Aber die Entscheidung, wo unser Land hingehen wird, ist die Entscheidung unserer Leute. Mazedonien hat sich für die Nato entschieden und gleichzeitig sind wir entschlossen, eine positive Beziehung zu Russland zu haben.

STANDARD: Gibt es noch etwas anderes als die Ausweitung des Albanischen als Amtssprache, das für die albanische Gemeinschaft in Mazedonien gemacht werden sollte?

Dimitrov: Das Gesetz über die Verwendung von Sprachen ist die letzte gesetzgebende Maßnahme, die das Ohrid-Abkommen abschließen wird. Aber in einer multiethnischen Gesellschaft kann man nie sagen: Jetzt sind wir fertig. Die langfristige Herausforderung für Mazedonien ist es, in sozialen Zusammenhalt und mehr integrierte Bildung zu investieren, weil es für niemanden positiv ist, parallele Gesellschaften zu haben – weder für Mazedonier noch für Albaner.

STANDARD: Als Sie nun gerade ein neues Freundschaftsabkommen mit Bulgarien geschlossen haben, tauchten plötzlich neue Probleme mit Serbien auf. Serbien zog sein diplomatisches Personal zurück. Können Sie erklären, was da los ist?

Dimitrov: Das war eine Überraschung und ich bin froh, dass es uns gelungen ist, durch den Dialog die Turbulenzen schnell zu deeskalieren. Die Art, wie wir versuchen, die Region zu sehen, basiert auf der Formel: Entweder sind wir gemeinsam erfolgreich oder wir scheitern alle zusammen. (Adelheid Wölfl, 10.9.2017)

Zur Person:
Nikola Dimitrov (45) studierte in Skopje und in Cambridge, unter anderem internationales Recht. Der Sozialdemokrat war bereits einmal Vize-Außenminister und ist nun seit Juni der neue Außenminister Mazedoniens. Dimitrov ist verheiratet und hat eine Tochter.

QUELLE: DER STANDARD