EU-Würdigung des Reformkurses
Beim Versuch, den EU-Erweiterungsprozess auf dem Balkan nicht ganz einschlafen zu lassen, setzt Brüssel auf Mazedonien. Der für die Erweiterung zuständige Kommissar stellte nach einem Besuch einen positiven Fortschrittsbericht in Aussicht.
Er sei sicher, der nächste Fortschrittsbericht werde positiv ausfallen, sagte der EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle zum Abschluss seines Besuches am Dienstag in der mazedonischen Hauptstadt Skopje. Zuvor hatte die dritte Runde des «hochrangigen Dialogs» stattgefunden, eine Art Ersatz für Beitrittsverhandlungen. Wegen Griechenlands Veto in der Namensfrage ist Mazedoniens formaler Beitrittsprozess seit dem Jahre 2005 blockiert. Auffallend war das Lob Füles für Ministerpräsident Nikola Gruevski. Nicht nur hob der Kommissar Gruevskis Einsatz für die Reformen hervor, ein gemeinsamer Zeitungsartikel lässt sie als Team erscheinen, das energisch am Integrationsprozess arbeitet.
Ethnische Konflikte
Für den Beobachter kommt diese Aufbruchstimmung etwas überraschend. Es stimmt zwar, dass Skopje die legislativen Auflagen Brüssels in der Regel erfüllt. Aber das Land ist in einer schwierigen Lage: Eine Gesetzesvorlage zur Unterstützung von Hinterbliebenen aus dem Konflikt von 2001 spaltet das Parlament entlang ethnischer Linien. Dies, obwohl eine multiethnische Koalition die Regierung stellt. Die albanischstämmigen Parlamentarier verlangen, dass die Vorlage auch die Familien getöteter UCK-Kämpfer erfassen müsse.
Die mazedonische Seite lehnt das ab, weil so die illegale Gewalt der Guerilla mit jener der Verteidiger des Staates gleichgesetzt werde. Ethnisch-albanische Vertreter der Regierungspartei DUI arbeiten deshalb mit Filibustern, um die Verabschiedung des Gesetzes zu blockieren – kein Zeichen dafür, dass der interethnische Ausgleich in der Koalition wirklich funktioniert.
Hohe Arbeitslosigkeit
Seit einigen Tagen befindet sich das Land offiziell in einer Rezession. Mit etwa 31 Prozent hat Mazedonien eine der höchsten Arbeitslosenraten der Region. Gleichzeitig gibt die Regierung für das ideologisch motivierte Verschönerungsprojekt «Skopje 2012» Millionen aus. Die leeren Staatskassen werden mit teuren Krediten wieder gefüllt. Auch was die Rechtsprechung betrifft – ein Dauerthema im Dialog mit Brüssel –, bleiben die Verhältnisse problematisch. Nach einem brutalen fünffachen Mord im Mai hatte das Innenministerium sofort islamistische Terroristen verdächtigt und grossangelegte Razzien in albanischen Siedlungen durchgeführt. Dabei wurden mindestens 20 Personen verhaftet, doch seither herrscht Funkstille. Ein Teil der Angeklagten musste freigelassen werden. Ob die Staatsanwälte wirklich in der Lage sind, Anklage zu erheben, ist ungewiss, und das Risiko besteht, dass der Fall juristisch ohne Folgen bleibt.
Gelehriger Schüler
Füle forderte zwar, die Politiker sollten die Stabilität des Landes ins Zentrum und ethnische Differenzen hintanstellen. Er machte auch klar, dass ohne Athens Zustimmung der Beginn von Beitrittsgesprächen nicht möglich sei.
Sein positiver Grundtenor ist indessen pädagogisch motiviert. Die Erweiterungspolitik stagniert auf dem westlichen Balkan. Es fehlt an Erfolgen. Bosnien-Herzegowina und Albanien werden von ihren zerstrittenen politischen Eliten blockiert. In Serbien behindert die Kosovofrage zügige Fortschritte. Ganz allgemein sinkt der Einfluss Brüssels in der gesamten Region. Das gilt am wenigsten für Mazedonien, das sich weiterhin als gelehriger Schüler gibt. Denn hier herrscht seit dem Konflikt von 2001 ein Grundkonsens, dass die Existenz des Landes und die gegenwärtigen Grenzen auf dem Westbalkan nur im Rahmen der Europäischen Union stabil sein können.