"Wiener Zeitung": Der Bildung einer neuen Regierung gingen Tumulte voran. Eine aufgebrachte Menschenmenge stürmte das Abgeordnetenhaus in Skopje, just nachdem Sie von der Parlamentsmehrheit aus Sozialdemokraten sowie mazedonischen Albanerparteien zum Parlamentspräsidenten gewählt worden sind. Die Meute verletzte Abgeordnete, auch den heutigen Premier Zoran Zaev. Wie sehen Sie diese Ereignisse im Rückblick?
Talat Xhaferi: Das war einer der traurigsten Momente in der Geschichte Mazedoniens. Der 27. April stellt für das Land, für uns alle ein schwarzes Kapitel dar. Das ist einer Demokratie in Europa nicht würdig. Das traurigste dabei ist, dass einige Abgeordnete den Sturm des Parlaments tatkräftig unterstützt haben: Sie haben die Türen des Hauses geöffnet. Nur so konnten diese Hooligans in das Parlament eindringen. Seien Sie aber versichert, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Wer waren die Drahtzieher?
Ich glaube, die Menschen in Mazedonien haben sehr gut verstanden, wer die Drahtzieher sind. Die Tatsache, dass die Personen, die die Türen für den Mob geöffnet haben, Abgeordnete einer bestimmten Partei sind, spricht Bände.
Sie meinen die nationalkonservative VMRO-DPMNE, die zuvor eine Dekade lang regiert hatte.
Ich bin Parlamentspräsident. Ich will kein Öl ins Feuer gießen. Wir müssen nach vorne schauen.
Wo waren Sie, als das Parlament gestürmt wurde?
Natürlich im Parlament, konkret war ich im Pressezentrum.
Hatten Sie Angst?
Bevor ich in die Politik gegangen bin, habe ich eine militärische Laufbahn absolviert. Folglich bin ich auf kritische Situationen vorbereitet. Auch psychologisch. In dieser konkreten Situation haben sich andere Abgeordnete schützend vor mich gestellt. Daher sind diese Hooligans nicht zu mir vorgedrungen. Ferner waren wir auf so etwas vorbereitet.
Hatten sie Angst um Ihr Leben?
Nein.
Hat die VMRO, nun in der Opposition, Ihre Wahl schon akzeptiert? Hat sie sich damit abgefunden?
Entscheidend ist, dass die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament mich zum Präsidenten gewählt hat. Ich bin so demokratisch legitimiert. Denn die Mehrheit der Abgeordneten ist aus demokratischen Wahlen hervorgegangen.
Werden Sie im Parlament von den VMRO-Abgeordneten boykottiert?
Die VMRO -Abgeordneten wollen mich zwar partout nicht mit "Herr Präsident" ansprechen, nur als "Herr Kollege". Faktisch haben sie mich aber akzeptiert. Der einzige Boykott, wenn man so will, ist: Immer montags um 10 Uhr treffen sich Vertreter der Fraktionen, um die Parlamentsarbeit zu koordinieren. Die VMRO weigert sich bisher, daran teilzunehmen. Gleichwohl nehmen auch die VMRO-Abgeordneten an den Debatten in der Vollversammlung teil.
Ist Mazedonien nun endlich in ein ruhigeres Fahrtwasser gekommen?
Der 27. April war eine Zäsur. Wir haben umgehend eine Lösung der immerhin seit dem Frühling 2015 schwelenden politischen Krise gesucht. Ich habe meine Arbeit als Parlamentspräsident in Angriff genommen. Eine Regierung wurde gebildet, auch wenn sie nur über eine knappe Mehrheit im Parlament verfügt. Wir haben seither Fortschritte gemacht. Das sieht auch das Ausland so.
Welche Bedeutung hat Ihre Wahl?
Meine Wahl war sehr wichtig. Sie hat nicht nur eine starke Symbolkraft, sondern ist auch substanziell von großer Bedeutung. Denn sie ist ein starkes Signal dafür, dass man hierzulande auch Albanern wie mir vertraut, den Staat zu führen. Umgekehrt sehe ich mich persönlich auch in der Verantwortung, dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Gegenüber allen. Letztlich gilt es dabei, in der öffentlichen Wahrnehmung unter Beweis zu stellen, ob die Albaner in Mazedonien solche Positionen im Staat verantwortungsvoll einnehmen können. Im Übrigen bin ich Proteste gewohnt. Ich war Verteidigungsminister. Schon damals sah ich mich aus Anlass meiner Ernennung Protesten ausgesetzt, aber zugleich demonstrierten andere für mich. Die Soldaten wollen mich jedenfalls wieder zurückhaben.
Sind Sie ein Verfechter des Schweizer Modells im Vielvölkerstaat Mazedonien?
Unsere Verfassung unterscheidet sich vom Schweizer Modell. Meine Wahl zum Parlamentspräsidenten war ein Tabubruch. Das hat jedenfalls funktioniert, ohne die bestehende Verfassung zu ändern. Was wir brauchen, ist zum Beispiel ein neues Sprachengesetz. Wir werden darüber nach den Kommunalwahlen am Sonntag im Parlament debattieren.
Was ist daran neu?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Nehmen Sie eine Gerichtsverhandlung. Der Richter ist Albaner, ferner der Staatsanwalt, auch der Angeklagte ist Albaner. Aber alle drei haben bisher Mazedonisch zu sprechen, nur der Strafverteidiger nicht, weil sein Mandant ein Albaner aus Mazedonien ist. Das ändern wir jetzt. Oder ein Albaner geht in der Stadt Veles in Zentralmazedonien aufs Amt. . .
. . . wo keine Albaner leben. . .
. . . um Dokumente zu erhalten. Bisher konnte man dort nicht in der albanischen Sprache verkehren. Auch das ändern wir jetzt. Auch die Behörde in Veles muss fortan auf individuelle Anfrage hin Dokumente in albanischer Sprache entgegennehmen und ausstellen.
QUELLE: WIENER ZEITUNG