In Mazedonien beschert der Bär gewieften Landwirten ein wundersames Zubrot. Es gibt mehr Schadensmeldungen als tierische Verursacher.
Von Thomas Roser
Im Wald geht es meist wie auch sonst im Leben zu: Was man hat, das will man nicht – und was man will, das hat man nicht. Ausgerottet wird das Fehlen einheimischer Wildtiere meist vielstimmig beklagt, sind sie (wieder) da, ist es aber auch nicht recht: Die Rolle, die in Mitteleuropa das zurückgekehrte Schreckgespenst vom Unschuldslämmer reißenden Wolf einnimmt, ist in den Staaten des Balkans der Bienenstöcke und Schafskoppeln plündernde Bär.
Tatsächlich ist es oft die Ausholzung der Wälder, die im Südosten Europas Mensch und Tier sich unfreiwillig immer näher und ins Gehege kommen lässt: Vor allem in der Bärenhochburg Rumänien (rund 6 000 Bären), aber auch im dicht besiedelten Slowenien (600 bis 800 Bären) mehren sich die Klagen der Anwohner über „Problembären“, die durch waldnahe Wohnviertel ziehen, Müllcontainer durchwühlen, auf Weiden auch einmal ein Schaf reißen – oder gelegentlich selbst Jäger und Pilzsammler attackieren.
Doch in manchen Balkanregionen mehren sich die Klagen merklich schneller als die Zahl der Sohlengänger. So ist im dünn besiedelten Mazedonien die Zahl der Bären dank eines Jagdverbots zwar wieder auf knapp 380 geklettert. Auffällig stärker jedoch haben sich in einigen Regionen laut Recherchen der Agentur Balkan Insight die Schadenersatzforderungen vermehrt: „Die Bärenforderungen schlagen ihre Klauen in Mazedoniens Budget.“
Tatsächlich hat die wundersame Vermehrung der Bärenattacken gewieften Imkern und Landwirten ein stattliches Zubrot staatlicher Entschädigungszahlungen beschert. Erkannte das Bezirksgericht in Prilep bis zum Jahr 2013 in nur einem Fall einem Kläger das Recht auf staatliche Entschädigung zu, sind es nun mehr als 20 Fälle pro Jahr.
Besonders unerbittlich scheint der eigentlich eher scheue Bär aber in der Region um das südmazedonische Provinzstädtchen Bitola zu wüten: In 493 Prozessen haben sich dort vermeintlich düpierte Anwohner vor Gericht in den letzten fünf Jahren einen Schadenersatz von 1,3 Millionen Euro erstritten.
In einem Land, wo das statistische Durchschnittseinkommen weniger als 400 Euro beträgt, sind 11 000 Euro zuerkannter Schadenersatz für ein paar Dutzend umgeworfene Bienenstöcke viel Geld. Laut Balkan Insight sind vermeintliche Bärenschäden zu einem „lukrativen Business“ geworden – bei oftmals eher zweifelhafter Beweislage.
So dienten einige abgeknickte Zweige den erstaunlich leichtgläubigen Richtern als Beweis für den Bärenraub ganzer Kirschenernten – oder ein von wem auch immer abgenagtes Skelett als Nachweis für eine vom Bär gerissene Kuh. Auffällig sei nicht nur, wie häufig dieselben Kläger vom Bär heimgesucht würden, so die Agentur. Oft vermeldeten Landwirte die Verwüstung ganzer Kartoffel-, Mais- und Paprikafelder, obwohl der Bär nur wenige Quadratmeter zertrampelt habe. „Die Leute wollen mich dann überzeugen, dass der Bär noch einmal zurückkehren werde, um den Rest zu essen“, berichtet ein anonymer Kontrolleur.
QUELLE: SZ Online