Interview mit Maja Susha - Mazedonierin, Germanistin und Jüdin

Die Unabhängige Monatszeitung Jüdische Rundschau mit einem Interview mit Maja Susha von der jüdischen Gemeinde in Skopje, über die Juden in Mazedonien. 

Mit freundlicher Genehmigung der Jüdische Rundschau.


JÜDISCHE RUNDSCHAU: Frau Susha, was ist Ihrer Meinung nach das wichtigste Ereignis in der Geschichte der Juden in Mazedonien, über das die Welt Bescheid wissen sollte?

Maja Susha: Mazedonien ist ein Land, in dem die Juden bereits vor Jahrhunderten lebten, bauten, dienten, sich und das Land entwickelten. Es war aber auch ein Land, dessen jüdische Bevölkerung vom Holocaust nicht verschont blieb. 98 % der mazedonischen Juden wurden in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Nach der Vertreibung aus Spanien im Jahre 1492 wurde der Balkan ein neues Zuhause für die Juden der iberischen Halbinsel. Wir schätzen unsere sephardische Abstammung bis heute, so dass die wenigen von uns, die noch hier leben, dazu verpflichtet sind, die Tradition und Kultur zu vermitteln, die unsere Vorfahren hierherbrachten. Leider wurde alles, was unsere Vorfahren jahrhundertelang aufgebaut hatten, fast vollständig von den faschistischen bulgarischen Besatzern zerstört.

Vor dem Krieg gab es drei Gemeinden in Skopje, Bitola und Šhtip – heute nur noch eine in Skopje, der Hauptstadt Mazedoniens. Das, was wir nie vergessen dürfen, ist die Zeit des Holocausts. Am 11. März 1943 wurden 7.144 Juden aus Bitola, Štip und Skopje mit Gewalt aus ihren Häusern geholt und in die Tabakfabrik bzw. in das Vernichtungslager Treblinka gebracht. Am 22., 25. und 29. März wurden die Juden nach Treblinka deportiert, von wo niemand lebend zurückkehrte.

Die Erinnerung an die deportierten Juden wird nie enden und aus diesem Grund gibt es heute in der Innenstadt von Skopje ein Holocaust-Gedenkzentrum für die Juden Mazedoniens. Das Zentrum ist ein Zeugnis dessen, was die Juden im Laufe ihrer Geschichte erschufen und womit sie konfrontiert waren.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wenn eine Touristin oder ein Tourist in Mazedonien die Geschichte der Juden in Mazedonien besser kennenlernen möchte, was würden Sie ihr/ihm empfehlen und warum?

Maja Susha: Zur Einführung in die Geschichte der mazedonischen Juden sollte natürlich zuerst das Holocaust-Gedenkzentrum der mazedonischen Juden besichtigt werden. Das ist ein Denkmal der Erinnerung, das zeigt, was jahrhundertelang in dieser Region passierte und natürlich ist es ein Denkmal des Holocausts, von dem leider auch die Juden aus Mazedonien betroffen waren. Das Holocaust-Gedenkzentrum ist ein Ort, wo eine Reihe von Dokumentarfilmen und Unterlagen zu sehen sind, und es wird dort natürlich auch eine im Detail erzählte Geschichte weitergegeben – über alles, was die Juden jahrhundertelang in Mazedonien kreierten.

Der Ort, an dem das Holocaust-Gedenkzentrum gebaut wurde, ist einzigartig, angesichts der Tatsache, dass sich vor dem Zweiten Weltkrieg in diesem Gebiet der Stadt ein ehemaliges jüdisches Viertel befand. Außerdem sollte auf der Reisekarte für Touristen die einzige Synagoge in Mazedonien „Beth Jacob“ aufgeführt werden, die die Säule des Judentums in Mazedonien darstellt. Die Synagoge ist klein, aber sehr wichtig für die Juden in Mazedonien. Hier haben die Touristen die Gelegenheit, sich mit einigen Details des religiösen Lebens dieser kleinen Gemeinde vertraut zu machen. Allerdings, wenn es eine Gelegenheit gibt, wäre es gut, die Tabakfabrik „Monopol“ zu besichtigen, weil sich während des Zweiten Weltkrieges an diesem Ort das Transitlager befand, von dem aus die Juden Mazedoniens nach Treblinka deportiert wurden.

Wenn die Besucherinnen und Besucher Mazedoniens die Möglichkeit haben, eine Weile im Land zu bleiben, wäre es eine wunderbare Gelegenheit ihr Wissen zu erweitern, indem sie die Ausgrabungsstätte „Stobi“ besichtigen. Weil sich dort die Reste der ältesten Tempel-Synagoge „Polihramova sinagoga“ aus dem 3./4. Jahrhundert n.d.Z. befinden. Es gibt aber auch in den anderen Städten wie Bitola und Šhtip zahlreiche Informationen über die Juden aus Mazedonien. Die Stadt Bitola, vor dem Zweiten Weltkrieg als Monastir bekannt, war ein Zentrum der Juden und genau dort befand sich die größte jüdische Gemeinde dieser Zeit. In Bitola sollte der jüdische Friedhof aus dem Jahr 1498 nicht fehlen, der bis zum Zweiten Weltkrieg noch genutzt wurde.

Heute ist der Friedhof mit der Unterstützung der israelischen Botschaft und den enormen Bemühungen der lokalen Partner im Prozess der Reinigung und Restaurierung. Mit der Fertigstellung des Projektes wird dieser Ort einen Gedenkpark mit einer Jerusalem-Straße bilden, an dem sich eine Sonnenuhr befinden wird. Diese Uhr wird von dem mazedonischen Holocaust-Überlebenden Herrn Matti Grinberg, der heute ein berühmter Künstler in Israel ist, aufgebaut. Auch eine große Zahl jüdischer Geschäfte und Häuser können am Basar in Bitola besichtigt werden, und an einigen von ihnen ist immer noch der Davidstern zu sehen. Es ist interessant die Säule der Synagoge „Cal Portugal“ in Bitola zu besichtigen, die die einzige „Überlebende“ des Zweiten Weltkriegs ist. Leider wurden alle sechs Synagogen, die vor dem Krieg in Bitola existierten, von den faschistischen bulgarischen Besatzern zerstört.

Tatsächlich gibt es viel zu besichtigen und zu sehen, aber ich möchte betonen, dass in diesem Jahr wegen des 75-jährigen Gedenkens an die Deportation der Juden aus Mazedonien der größte Marsch der Überlebenden mit über 6.000 Menschen in Bitola stattfand. Sie liefen durch die Hauptstraße in Bitola „Shirok Sokak“ und wollten die Botschaft verbreiten, dass Mazedonien seine Juden nie vergisst. In Šhtip gab es die kleinste Gemeinde vor dem Zweiten Weltkrieg, mit etwa 500 Mitgliedern. Leider gibt es heute in dieser Stadt keinen einzigen Juden, aber es lohnt sich, das Denkmal für die Opfer des Holocausts und den jüdischen Friedhof in der gleichen Stadt anzuschauen.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie viele Juden wohnen in Mazedonien und wie sieht ihr Leben heute aus?

Maja Susha: Die jüdische Gemeinde in Mazedonien ist heute sehr klein, gerade weil während des Holocausts 98 % der jüdischen Bevölkerung Mazedoniens in das Todeslager Trebelinka deportiert wurden. Die Gemeinde zählt heute etwa 200 Mitglieder, die alle in Skopje leben. In Bitola gibt es nur eine Familie, und in Štip gibt es heute keinen einzigen Juden mehr. Die Juden aus Mazedonien leben ihr Leben genauso wie die anderen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Wir stehen vor den gleichen alltäglichen Problemen und selbstverständlich genießen wir die gleichen Rechte wie alle Bürgerinnen und Bürger, weil die jüdische Gemeinschaft in die Verfassung der Republik Mazedonien aufgenommen und amtlich anerkannt wurde. Die Gemeinde befindet sich im Zentrum von Skopje und ist ein Ort, an dem wir zusammen alle großen jüdischen Feiertage feiern und Zeit miteinander verbringen. Es gibt keine jüdische Schule in Mazedonien, weil die Anzahl der Mitglieder so klein ist, dass unsere Kinder in die staatlichen Grundschulen und weiterführenden Schulen gehen. Aber in der Gemeinde gibt es jede Woche einen organisierten Unterricht für die jüngsten Mitglieder, während die jungen Leute, Jugendliche und Studenten eingeschlossen, ihr eigenes Programm haben, wo sie ihre Aktivitäten das ganze Jahr über selbst organisieren. In der Gemeinde gibt es einen Frauenclub, wo unsere Mütter und Großmütter ihre Zeit verbringen und natürlich für die größten Feiertage unsere leckersten sephardischen Gerichte zubereiten. Außerdem ist die Gemeinde an vielen Aktivitäten außerhalb des Landes beteiligt, sodass unsere Mitglieder bei Konferenzen und Veranstaltungen dabei sind, die von anderen Gemeinden und jüdischen Organisationen in der Region und der Welt organisiert werden.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie ist das Zusammenleben zwischen den Juden, Muslimen und Christen in Mazedonien?

Maja Susha: Es gibt viel über die Zusammenarbeit zwischen Juden, Muslimen und Christen zu sagen, und meistens im positiven Zusammenhang. In unserem Land gibt es ein institutionelles Gremium, in dem alle Religionsgemeinschaften vertreten sind. Religiöse Leiter treffen sich fast jeden Monat, um Ideen auszutauschen, und bessere Bedingungen für das religiöse Leben zu schaffen. Das letzte Projekt, das unter der Überschrift „Zivilcourage in gefährlichen Zeiten“ lief, bezog sich auf die Rettung der mazedonischen Juden nach Albanien, wo das Forschungsteam eine Reihe von Dokumenten vorlegte, die die Rettung der Juden seitens der Muslime bewiesen.

Die Ausstellung, die das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem „Holocaust-Gedenkzentrum der Juden aus Mazedonien“, dem „Institut für kulturelles und geistiges Erbe der Albaner“ und dem „Institut für Nationale Geschichte“ war, wurde vor drei Jahren auch im mazedonischen Kulturzentrum in New York vorgeführt, wobei zwei Leiter der islamischen und jüdischen Religionsgemeinschaft aus Mazedonien anwesend waren.

Außerdem würde ich die Zusammenarbeit mit Deutschland erwähnen, die mit dem Projekt der Reinigung des jüdischen Friedhofs in Bitola begann. Deutsche evangelische Jugendliche kommen im Sommer nach Mazedonien und reinigen gemeinsam mit unseren Jugendlichen den jüdischen Friedhof. Zu unserer Freude waren die Jugendlichen auch am 11. März dieses Jahres an dem Marsch der Überlebenden anlässlich des 75. Jahrestages der Deportation der mazedonischen Juden nach Treblinka anwesend.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie sind die politischen Beziehungen zwischen Mazedonien und Israel?

Maja Susha: Wir sind besonders stolz auf die hervorragende Zusammenarbeit zwischen Mazedonien und Israel. Gerade in diesen schwierigen Zeiten, in denen auf der ganzen Welt Antisemitismus und Hass gegen die Juden zunehmen, muss ich sagen, dass wir in Mazedonien ein solches Problem nicht haben. Die jüngsten Treffen des israelischen Botschafters Dan Orian mit dem Premierminister der Republik Mazedonien, Herrn Zoran Zaev, führen zur Vertiefung der Zusammenarbeit in vielen Bereichen, wie Tourismus, Landwirtschaft und Wirtschaft. Ich möchte jedoch erwähnen, dass neben dem israelischen Botschafter und stellvertretenden Verteidigungsminister Israels auch der Präsident der Versammlung der Republik Mazedonien am Marsch der Überlebenden in Bitola beteiligt war, zusammen mit dem Kulturminister der Republik Mazedonien und dem Bürgermeister von Bitola. Ich denke, dass dies genug über die Verbindung zwischen diesen beiden Ländern sagt.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Was ist Ihre persönliche Verbindung zum Judentum?

Maja Susha: Ich, als Mitglied der jüdischen Gemeinde in Mazedonien, deren jüdische Wurzeln in Sarajewo liegen, bezeichne mich selbst als mazedonische Jüdin und erziehe meine Kinder in dem Geist, ihre eigene Herkunft und Religion zu bewahren. Ich muss sagen, dass unsere Verbindung zu Judentum und Israel sehr tief ist, und ich möchte betonen, dass ich besonders stolz darauf bin, dass meine Kinder wissen, was sie in sich tragen. Meine Tochter Helena z.B. war im vergangenen Jahr Vertreterin Mazedoniens auf „Chidon Hatanach“ (Bibel-Quiz) in Israel. Sie hatte dort die Möglichkeit, junge Juden aus der ganzen Welt kennenzulernen. Sie ist auch Mitglied der größten jüdischen Teenager-Organisation BBYO mit Sitz in Washington D.C. und letztes Jahr wurde sie als Vorstandsmitglied von BBYO Balkans ausgewählt.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie ist Ihr jüdischer Verein in Mazedonien entstanden?

Maja Susha: Die Gemeinschaft gibt es seit Langem, aber mit der Deportation der Juden nach Treblinka im März 1943 wurde ihre Arbeit vollständig eingestellt. 1945 wurde sie wieder aufgenommen, und es funktioniert bis heute. Letztes Jahr haben wir das ganze Jahr über den 75. Jahrestag seit der Erneuerung der jüdischen Gemeinde gefeiert, mit vielen Veranstaltungen, Konferenzen und Konzerten.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit anderen jüdischen Vereinen außerhalb der Grenze Mazedoniens?

Maja Susha: Die Gemeinde war im ehemaligen Jugoslawien ein Teil der Föderation der jüdischen Gemeinden Jugoslawiens. Gewiss ist, dass mit der Unabhängigkeit Mazedoniens die Gemeinde die einzige jüdische religiöse Institution innerhalb der Grenzen des heutigen Mazedonien wurde, aber die Beziehungen hörten nie wirklich auf. Unsere Jugendlichen verbringen die Sommerferien mit anderen jüdischen Jugendlichen aus den ehemals jugoslawischen Ländern. Unsere Gemeinden organisieren außerdem Konferenzen, an der hunderte Juden aus Kroatien, Deutschland, Polen, Israel, Mazedonien und anderen Ländern teilnehmen.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie ist Ihre Zusammenarbeit als Diplom-Germanistin mit Deutschland in Bezug auf das Judentum?

Maja Susha: Ehrlich gesagt: Meine Beziehung zum Judentum als Germanistin ist professioneller Natur. Ein wichtiger Teil meiner Arbeit besteht in der Erforschung von Dokumenten, die mit den Juden des Zweiten Weltkriegs zu tun haben. Letztes Jahr war ich Vertreterin des Teams vom „Holocaust-Gedenkzentrum der Juden aus Mazedonien“, das sich mit Juden und Diplomatie befasste, und ich hatte die Gelegenheit, zwei Wochen in Berlin zu verbringen und das Staatsarchiv zu erforschen, das reich an Dokumenten ist, die sich auf die Besatzungszeit Mazedoniens während des Zweiten Weltkriegs beziehen. Alle Dokumente aus dieser Zeit sind in deutscher Sprache verfasst, so dass meine Sprachkenntnisse mir bei der Recherche und Analyse der Dokumente halfen. Ich bin also ein großer Vorteil auch für die anderen Forscher, die diese Sprache nicht sprechen, und sie brauchen immer Hilfe von einer Übersetzerin oder einem Übersetzer.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Was sind Ihre Ziele und Visionen für die Zukunft?

Maja Susha: Bis jetzt wurden schon viele Sachen erreicht. Die Eröffnung des „Holocaust-Gedenkzentrums der Juden aus Mazedonien“ war in erster Linie eine Initiative der jüdischen Gemeinde aus Mazedonien. Aber es gibt immer noch viel zu tun. Mein größter Wunsch ist, dass ein spezieller Bildungsraum eröffnet wird, wo die Jüngsten von früh an zu jüdischen Innovationen und Technologien, sowie zu jüdischer Kultur lernen können, die die Juden in die Region brachten. Interaktive Spiele und Seminare wären da ein nützliches Mittel. Es gibt noch viel zu tun, aber das größte Ziel ist, dass wir das nicht vernachlässigen, was unsere Vorfahren erschufen, und dass wir auf ihrem Weg weitergehen, nämlich eine bessere Zukunft für unsere Kinder schaffen, unabhängig von Religion, Nation und Ethnizität.

Das Interview führte Eleonora Josifovska, Dozentin und Germanistin aus Skopje