Seit 1. März weigert sich der Präsident von Mazedonien, Gjorge Ivanov, der der regierenden VMRO-DPMNE nahe steht, dem Chef der oppositionellen Sozialdemokraten das Mandat zur Regierungsbildung zu geben, obwohl dieser gemeinsam mit den Albaner-Parteien über eine Mehrheit im Parlament verfügt. Ivanov begründet dies damit, dass die neue Regierung Mazedonien schaden könne, weil die Albaner zu viele Rechte bekommen könnten.
STANDARD: Sie sind Teil der bisherigen Regierungspartei VMRO-DPMNE. Die Opposition hat gemeinsam mit den Albanerparteien eine Mehrheit, aber Präsident Gjorge Ivanov will Ihnen kein Mandat geben. Wie kommt man nun aus der Krise heraus?
Poposki: Der Präsident hat einen Vorschlag gemacht: Wer auch immer eine Mehrheit hat, kann das Parlament zusammenrufen und den Präsidenten des Parlaments wählen. Das könnte eine Basis dafür sein, das Mandat zur Regierungsbildung zu bekommen. Das hätte schon vor einer Woche passieren können, wenn es wirklich gewollt worden wäre.
STANDARD: Aber Ivanov hat klar gesagt, dass er das Mandat nicht dem Chef der Sozialdemokraten (SDSM), Zoran Zaev, geben wird. Und es gibt die Sorge, dass die Spannungen steigen könnten, wenn Zaev die Regierung bildet.
Poposki: Es ist offensichtlich, dass die VMRO zurzeit keine Mehrheit im Parlament hat. Der nächste Schritt, wäre den Parlamentspräsidenten zu wählen. Aber Zaev hat das nicht gemacht. Eine der direkten Konsequenzen ist, dass man ohne Parlamentspräsidenten keine Wahlen ausrufen kann – die Lokalwahlen sollten im Mai stattfinden. Deshalb ist es legitim zu fragen, ob die SDSM nicht absichtlich das Offiziellmachen der Mehrheit im Parlament verzögert, nur damit die Lokalwahlen nicht rechtzeitig stattfinden. foto: afp / attila kisbenedek Nikola Poposki, Mazedoniens früherer Außenminister.
STANDARD: Aber es geht doch darum, dass Ivanov Zaev das Mandat verweigert.
Poposki: Ivanov hat von der Tirana-Plattform gesprochen, aber nicht im Zusammenhang mit institutionellen Abläufen, sondern als Kern des Regierungsprogramms, das viele Leute im Land verstört. Ich nehme die Worte des Präsidenten als einen Vorschlag, vorwärts zu gehen.
STANDARD: Zur "Tirana-Plattform": Einige mazedonische Albanerpolitiker sind nach Tirana gefahren, um sich auf eine Vorgehensweise zu einigen. Danach wurde kritisiert, dass sich Albanien in die internen Angelegenheiten von Mazedonien einmischen würde. Welche Auswirkungen hat das auf die Beziehungen zwischen Mazedonien und Albanien?
Poposki: Sehr negative. Ein Premier eines Nachbarstaats rief auf einer rein ethnischen Basis zur Schaffung einer Plattform auf, die eine Bedingung für die Regierungsbildung in einem Nachbarland ist. Auf den Fotos der offiziellen Präsentation dieses Treffens kann man Edi Rama (albanischer Regierungschef, Anm.) in der Mitte sehen und die Führer mehrerer Parteien aus Mazedonien um ihn herum. Hinter ihnen ist eine Landkarte, die anschaulich die Idee von Großalbanien darstellt. Manchmal sagen Bilder mehr als tausend Worte. Vielleicht erwägt Herr Rama, dass ihm das bei seinen Wahlen im Juni Punkte bringen kann. Aber all das hat einen negativen Einfluss auf das politische Leben in Mazedonien und macht dem mazedonischen Volk Sorgen.
STANDARD: Es ist lange her, dass die mazedonischen Albanerparteien sich in Tirana getroffen haben, das war im Dezember. Erst jetzt demonstriert man hier dagegen.
Poposki: Ich glaube, dass das offizielle Treffen am Weihnachtsabend war. Ich denke, dass jeder, der einen politischen Posten hat, verantwortlich handeln sollte und auf die langfristigen Auswirkungen schauen sollte. Noch dazu befördert dies ein ethnozentrisches Konzept. Wenn das zum Standard wird, kann es sehr viel Unruhe erzeugen, nicht nur in der Region, sondern auch auf europäischer Ebene. Wenn wir etwas gelernt haben in den vergangenen 25 Jahren, dann, dass uns so etwas weder näher zur EU noch zu einer integrierten Region führt. Es ist kein guter Plan, Innenpolitik auf Kosten einer Destabilisierung des Nachbarn zu machen.
STANDARD: Die mazedonischen Albanerparteien sagen, dass nicht Premier Rama die "Tirana-Plattform" initiiert hat, sondern dass sie so zerstritten sind, dass sie einen Mediator brauchten.
Poposki: Es ist aber kaum vorstellbar, dass jemand Premier Rama ein Gewehr an den Kopf gehalten hat, damit diese Fotos gemacht werden. Der kosovarische Präsident Hashim Thaçi hat ebenfalls auf Basis eines ethnozentrischen Konzepts die Albaner hier unverblümt aufgerufen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Wenn irgendjemand dankbar sein sollte, etwa für den Preis, den wir für deren Unabhängigkeit bezahlt haben, dann ist das sicherlich der Kosovo. Wir haben auch den Unesco-Beitritt des Kosovo unterstützt, obwohl es kriminelle Gruppen aus dem Kosovo gab, die hier Schaden angerichtet haben. Es ist sehr unfair, dass der Präsident des Kosovo, obwohl Mazedonien während der Kosovo-Krise 400.000 Menschen aufgenommen hat, zu Gewalt oder Unruhe im Nachbarland anstiftet.
STANDARD: Aber er hat doch nicht zur Gewalt aufgerufen. Er hat gesagt, die Albaner sollten ihre Rechte in die Hand nehmen.
Poposki: Aber wir können uns doch auf das Prinzip einigen, dass das nicht der regionalen Kooperation dient?
STANDARD: Ja. Hatten Sie Kontakt zu Ihren Kollegen aus dem Kosovo oder aus Albanien, um das Ganze zu besprechen?
Poposki: Wir haben das bei einigen Gelegenheiten besprochen. Ich denke, dass es in Albanien einen ernsthaften Mangel an Sorge um die Konsequenzen mancher Handlungen gegeben hat. Wir haben diese Ansicht geteilt. Und ich denke, dass die Konsequenzen der Gesten nun in Tirana und in Prishtina verstanden wurden. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass unsere gemeinsamen Partner das kommuniziert haben. Die Frage ist aber, werden sie in einer verantwortlichen Art kommunizieren, die unsere Region stabilisiert, oder wird die innenpolitische Mathematik die Themensetzung dominieren? Meine Sorge ist, dass die Dinge eskalieren und wir den Balkan total über den Haufen werfen, wenn jeder von uns, der eine politische Position innehat, nur darauf achtet, was kurzfristig politische Punkte bringt.
STANDARD: Wenn es um das Einmischen in Nachbarstaaten geht, gibt es auch die Idee der EU, dass die beiden "großen Balkanführer", Serbiens Premier Aleksandar Vučić und Albaniens Premier Edi Rama, als ordnende Akteure auftreten sollen. So wurde Vučić öfters dazu aufgefordert, im Nachbarland Bosnien-Herzegowina den Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, an die Kandare zu nehmen. Hat die EU noch nicht verstanden, wie gefährlich es auf dem Balkan ist, wenn sich Politiker aufgrund ihrer "ethnischen Zugehörigkeit" in Nachbarstaaten einmischen?
Poposki: In der EU gibt es tolle Werte und Prinzipien. Wenn wir diese nicht respektieren, hat das immer zu einem Fiasko geführt. Man sollte sich daran halten, dass es souveräne Staaten gibt und dass Entscheidungen innerhalb von demokratischen Institutionen gefällt werden. Leider ist das Einmischen in die Nachbarstaaten ein Standard geworden und wird nicht einmal ernsthaft verurteilt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Österreich davon profitieren würde, wenn österreichische Parteien nach Berlin gerufen werden würden, um eine generelle Koordination ihrer Innenpolitik vorzunehmen. Die Prinzipien sollten überall gleich sein.
STANDARD: Nun geht es in Mazedonien faktisch um mehr Sprachenrechte für die Albaner. Auf der anderen Seite gibt es Ängste, die nicht auf Fakten basieren, etwa die Furcht vor einer Föderalisierung Mazedoniens oder vor einem "Großalbanien". Wie kann man nun die Fakten von den Ängsten trennen und die Leute beruhigen?
Poposki: Die Grenze soll das Recht sein. Alles, was das Leben der Leute erleichtert und den Reichtum unseres multikulturellen Staates fördert, kann positiv sein, um den Zusammenhalt zu stärken. Mit der Sprachenfrage ist Mazedonien besser umgegangen als irgendein Land rund um uns herum. Aber nun wird auf künstliche Weise eine massive Neudefinition der Beziehungen zwischen den Volksgruppen angetrieben, bei der es sogar um neue Grenzen geht. Es geht ja nicht nur um die Einmischung von Nachbarn, es haben ja sogar US-Kongressabgeordnete und ehemalige Diplomaten, etwa aus Großbritannien, das zum Thema gemacht.
STANDARD: Diese Stellungnahmen waren in den vergangenen Monaten fürchterlich.
Poposki: Ja. Haben die nichts von der Vergangenheit gelernt? Wenn wir ein Konzept haben, das unseren Zusammenhalt stärkt und die Spaltung auf sprachlicher, religiöser und ethnischer Ebene verringert, sind wir auf dem richtigen Weg. Wir brauchen mehr Zusammenhalt, nicht mehr Segregation. Die Ängste, die Sie erwähnen, gehen Hand in Hand damit, dass diese Neudefinitionen, die zu Abspaltungen von Landesteilen und neuen Grenzen führen könnten, auf einen gewissen Rückhalt stoßen.
STANDARD: Aber es will ja überhaupt niemand neue Grenzziehungen oder Abspaltungen. Die Albanerparteien wollen nicht einmal eine Föderalisierung, sondern nur Sprachenrechte. Und dann ist man schon sehr erstaunt, wenn man hierher nach Skopje kommt und die Leute bei der Demo behaupten, dass die Albanerparteien die Flagge ändern wollen. Es geht um viele Dinge, die auf keinerlei Fakten beruhen.
Poposki: Vielleicht war unsere Geschichte sehr turbulent, und vielleicht passen die Fakten und die Wahrnehmungen manchmal nicht perfekt zusammen. Uns geht es nur um die Rechte von Bürgern. Die Wählerstimmen von Bürgern werden im Parlament repräsentiert, und davon wollen wir nicht abweichen, denn nur dann sind wir auf der sicheren Seite.
STANDARD: Zurzeit steht aber in der Präambel der mazedonischen Verfassung, dass "Mazedonien als Nationalstaat der Mazedonier" geschaffen wurde, der den Albanern, Türken, Wlachen, Roma und anderen Nationalitäten die "volle Gleichberechtigung" und eine "permanente Koexistenz" mit den Mazedoniern bietet. Das ist kein Bürgerkonzept. Sollte man demnach Volksgruppen aus der Verfassung herausnehmen und nur mehr von Bürgern reden?
Poposki: Es geht nicht um die Verfassung, weil die ohnehin auf Bürgern basiert. Es geht um die Ausrichtung der Politik. Sollten wir uns nicht besser um die EU-Integration, um die Eröffnung von Verhandlungskapiteln oder Wirtschaftswachstum kümmern? Ich denke, ja.
STANDARD: Das russische Außenministerium hat Anfang März eine Stellungnahme zu Mazedonien veröffentlicht, in der es sich die westliche Einmischung verbat und auch Sorgen vor einer angeblichen Schaffung eines "Großalbanien" äußerte. Ist der Balkan ein stärkeres geopolitisches Spielfeld geworden, seit die neue US-Regierung angetreten ist?
Poposki: Wenn ich sage: Wir wollen keine Einmischung, dann ist das ohne Unterschied gemeint. Ich spreche alle an. Der einzige Weg, wie wir aus unserer politischen Krise herauskommen können, ist, mit eigenen Mitteln. Wer immer sich einmischt, ob das ein Premier eines Nachbarlandes ist oder eine Weltmacht, das wird unsere Angelegenheiten nicht lösen. Mazedonien ist natürlich nicht in einer Position zu sagen, was eine Weltmacht tun oder lassen soll. Die Großmächte justieren aber gerade ihre Macht auf verschiedenen Ebenen. Unsere Interessen liegen jedenfalls in der EU-Mitgliedschaft. Das würde das Leben hier besser machen, sowohl wirtschaftliche als auch rechtsstaatlich betrachtet. Ich sage das nicht, um Brüssel glücklich zu machen, sondern weil ich glaube, dass es die Mazedonier glücklicher machen würde. Aber ich habe nicht die Illusion, dass eine EU-Mitgliedschaft ein Fahrschein ins Paradies ist. Das ist sie nicht, man braucht nur in die EU-Staaten schauen.
STANDARD: Es gibt in Mazedonien aber Politiker, die anders denken, die keine EU- oder Nato-Mitgliedschaft wollen.
Poposki: Ja, aber bei den Bürgern gibt es den größten Konsens, wenn es um die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft geht. Die Leute wurden nur nach und nach hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des EU-Beitrittsprozesses enttäuscht. Die Tatsache, dass wir seit Jahren nicht mit der EU verhandeln, ist eines der Hindernisse. Wir verstehen aber natürlich die Dynamiken. Die Europäer sind damit beschäftigt, was bei den Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland passiert oder welche Auswirkungen der Brexit hat.
STANDARD: Die EU ist auf dem Balkan schwach. Öffnet das anderen Spielern mehr Möglichkeiten?
Poposki: Es gibt zunehmende Spannungen auf dem Balkan. Die Geopolitik trägt dazu bei. Aber ob wir im Chaos versinken, hängt vor allem von uns ab, die wir hier leben, und erst auf zweiter Ebene von den Interessen anderer Staaten. Deshalb sollten wir viel in regionale Zusammenarbeit investieren. Vor einigen Wochen hatten wir dazu hier in Skopje ein Treffen der Außenminister, und es war das erste Mal, dass wir das nicht getan haben, weil irgendwer uns dazu zusammengerufen hatte, sondern aufgrund unserer eigenen Initiative. Wir können unsere Region wettbewerbsfähig und attraktiv machen, wenn wir so zusammenarbeiten, als gäbe es einen gemeinsamen Markt und als hätten wir eine stimmige Art, Politik zu machen. Wenn unsere Nachbarn sich darauf konzentrieren, statt sich einzumischen, könnten wir eine erfolgreiche Region sein.
Zur Person: Nikola Poposki (39) studierte an der Universität Skopje und der Universität Nizza Wirtschaftswissenschaften. Seinen Master machte er 2004 an der Europauniversität Rennes. Poposki absolvierte auch das Europakolleg in Brüssel und arbeitete von 2006 bis 2009 bei der Europäischen Kommission. 2011 wurde er Außenminister in der Regierung unter Nikola Gruevski. Poposki ist Mitglied der national-konservativen VMRO-DPMNE und gilt als ein möglicher neuer Parteichef, sollte es eine Reform geben. Er war in der Zusammenarbeit mit Außenminister Sebastian Kurz maßgeblich an der Schließung der Balkanroute beteiligt. Kurz unterstützte Poposki im Wahlkampf und kam zu ihm nach Skopje.