Wenn die Young Boys am Donnerstag zum ersten Mal in Albanien antreten, verspürt YB-Flügel Taulant Seferi ein Gefühl zwischen Heim- und Fernweh. Der 20-Jährige hat eine besondere Familiengeschichte.
Eigentlich sollte er jetzt aufgeregt seinen Koffer packen. Er würde vielleicht noch einmal anrufen in der Heimat, «wir sehen uns bald», könnte er sagen, bevor er dann mit der Mannschaft aufbräche ins albanische Tirana. Doch um seinen Zeh wickelt sich ein dicker Verband, der ganze Fuss ist eingegipst, um seine Sehnenverletzung zu kurieren, und so sitzt Taulant Seferi auf einem Sessel im Stade de Suisse und erzählt, was die Young Boys am Donnerstag gegen Skënderbeu Korçe so erwarten wird.
Dass Taulant Fatmir Seferi Sulejmanov dem Spiel gegen den albanischen Spitzenclub mit besonderen Gefühlen entgegenblickt, liegt an seiner speziellen Familiengeschichte. Aufgewachsen ist er wie seine Eltern in Kumanovo, einer Kleinstadt knappe 20 Autominuten entfernt von der mazedonischen Kapitale Skopje.
Seferi wechselt früh von seinem Jugendverein zum Stadtclub Rabotnicki Skopje und wird mit 16 Jahren beim Debüt in der Meisterschaft einer der jüngsten Spieler in der höchsten mazedonischen Liga. Er erlebt bei Skopje erfolgreiche Zeiten, gewinnt Meisterschaft und Pokal. Aber schon immer geht der Blick auch nach Albanien, zum südlichen Nachbarn, «denn wir, die Seferis», sagt er stolz, «sind Albaner. Mazedonische Albaner halt».
Über eine halbe Million Albaner leben in Mazedonien, knapp ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Die albanische Diaspora hat ihre Ausläufer nicht nur – wie vielleicht eher bekannt – in Mitteleuropa, sondern auch im südlichen Serbien, im Kosovo, in Mazedonien, in der Türkei und in Griechenland. Für Taulant Seferi war es nie etwas Besonderes, sich «als Albaner zu fühlen und trotzdem Mazedonier zu sein».
Bald wird der talentierte Seferi in seiner Heimat für die Landesauswahlen aufgeboten, U-14, U-15, so geht das, immer höher, bis er im Mai 2014 nach einem Testspieleinsatz gegen Kamerun mit 17 Jahren und sechs Monaten plötzlich der jüngste mazedonische Nationalspieler überhaupt ist. Doch die albanische Nationalmannschaft geht ihm nicht aus dem Kopf. Die Qualifikation für die EM im letzten Jahr, die Euphorie, die Möglichkeiten mit den vielen talentierten Fussballern, verstreut in der Diaspora über den ganzen Kontinent. Und weil sein Einsatz für Mazedonien nicht in einem Pflichtspiel erfolgte, bleibt der Traum realistisch.
«Ich wollte für Albanien spielen», sagt Seferi. Dass die Initiative von ihm kam, darauf legt er Wert. Der albanische Verband ist dafür bekannt, sich seine Spieler in umtriebiger Manier bei diversen anderen Jugendabteilungen zusammenzusuchen. Anders wäre eine EM-Qualifikation für den Kleinstaat mit 2,8 Millionen Einwohnern auch kaum möglich gewesen.
In seiner einen Heimat Mazedonien galt Seferi als grosses Talent, als Versprechen für die Zukunft. Entsprechend kontrovers wurde seine Entscheidung, künftig das Dress mit dem Doppeladler zu tragen und für seine zweite Heimat zu spielen, damals in den Medien diskutiert. «Es gab nicht nur positive Reaktionen», gibt Seferi zu. Anfang 2017 erhält er den albanischen Pass, vergangenen März kam Seferi dann zu seinen ersten Testspielen mit der U-21. Im Juni absolvierte der Flügel dort schliesslich das erste Spiel in der EM-Qualifikation. Mehr Einsätze haben seine Blessuren seither nicht zugelassen: Im Sommer musste er sich einer Leistenoperation unterziehen, nun lässt die Sache mit dem Zeh kaum Training zu.
Bei YB war er kaum einmal gesund
Überhaupt verlangt seine Zeit bei YB von Taulant Seferi bislang vor allem eines: Geduld. Seit seiner Ankunft in Bern im Januar 2015 war der 20-Jährige kaum einmal mehr als drei, vier Wochen am Stück gesund. Vor der Hüfte und dem Fuss waren es Probleme mit dem Knie, welche Seferi monatelang ausser Gefecht setzten. Viel Zeit blieb da für anderes. Für Deutschunterricht etwa, was sich im unterhaltsamen Gespräch stark bemerkbar macht. Oder für das Verfolgen von albanischem Fussball.
Begeistert erzählt Seferi von seiner ausgeklügelten TV-Box zu Hause, die ihm jedes Spiel der südosteuropäischen Ligen direkt ins Wohnzimmer nach Ostermundigen überträgt. Dort wird der zurückgebundene Youngster am Donnerstag auch die Partie gegen Skënderbeu verfolgen. «Die Ligen im Kosovo, in Mazedonien und in Albanien sind etwa auf dem gleichen Niveau», sagt Seferi, «auf jeden Fall ist das eines, auf dem YB sich klar durchsetzen muss.»
Was aber bei diesem internationalen Spiel besonders sein werde, sei der Support. «Egal ob Skënderbeu oder Tirana – an solche Partien kommen Albaner von überall, auch aus Mazedonien.» Ins albanische Nationalstadion in Elbasan dürften am Donnerstagabend kaum mehr als 10'000 Zuschauer kommen, doch einige seiner Verwandten in Skopje nähmen die viereinhalbstündige Autofahrt tatsächlich auf sich, um einen der Saisonhöhepunkte vor Ort zu verfolgen.
«Ich wollte erst gar fragen, ob ich mit der Mannschaft mitfahren darf», sagt Seferi lächelnd. Aber er sei sich dann doch ein wenig albern vorgekommen. Nun bleibt er in Bern, bettet seinen dicken Fuss auf den Tisch und sich selbst aufs Sofa. Skënderbeu gegen die Young Boys ist für ihn ein Heimspiel – eines weit weg von zu Hause. (Der Bund)