Ein reflektierter, meinungsstarker 20-Jähriger aus dem Tennisentwicklungsland Mazedonien, der nach einer Komaerkrankung auf dem besten Weg scheint, sich auf der ATP-Tour einen Namen zu machen? Zu schön um wahr zu sein. Nach dem in der Vergangenheit immer mehr Medien über den zumindest auf Twitter wundersamen Darko Grncarov berichteten, ließ ein bekannter Journalist den Schwindel nun als wohl totale Fakenews auffliegen. Beteiligt sind wohl dutzende Menschen.
Diese Story schlägt nicht nur in der Tenniswelt hohe Wellen. Ein junger Mazedonier hat sich wohl mithilfe von Entwicklern aus seinem Heimatland über Jahre durch Fakenews vornehmlich auf Twitter ein Image als großes Tennistalent aufgebaut und dabei wohl auch eine eigene Komaerkrankung vorgetäuscht, berichtet der renommierte Tennisjournalist Ben Rothenberg auf der Seite slate.com.
Darko Grncarov errang, so viel ist klar, in der Vergangenheit auf Twitter mit politischen und sozialen Äußerungen größere Bekanntheit. Zuletzt ätzte er während der Australian Open gegen Tennys Sandgren, der wegen seiner ziemlich rechtspolitischen Tweets am Pranger stand. Nachdem der Journalist ihn vor der Veröffentlichung um ein Interview bat, das der Lügner abbrach, löschte Grncarov oder seine Mitstreiter kürzlich alle sozialen Kanäle.
POLITISCHE TWEETS BRINGEN BEKANNTHEIT UND LOB VON NAVRATILOVA
Zuvor war er immer wieder aufgefallen. Er sei wütend aufgrund Sandgrens Äußerungen und nannte ihn einen Idioten. Der junge Mazedonier, so schien es zumindest, war der einzige Spieler, der sich proaktiv in die Diskussion um das Namensrecht der Margret-Court-Arena einmischte. Er twitterte, dass er sich weigern würde, in der drittgrößten Arena bei den Australian Open zu spielen – und erhielt großen Zuspruch.
Nicht weniger positiv war das Feedback, als sich der junge Mann gegen Homophobie im Leistungstennis aussprach. Niemand geringeres als Martina Navratilova antwortete daraufhin auf einen Artikel über den jungen Sportler mit den Worten „Viel Glück, Darko”.
KOMA-ERKANKRUNG WOHL NUR VORGETÄUSCHT
Seinen Höchstand von rund 15.000 Twitter-Anhängern und fast dreifachen Gefällt-mir-Angaben auf Instagram erreichte er aber, als er im Sommer 2017 bekanntgab, sich nach einem Jahr körperlich und leistungssporttechnisch von einer Komaerkankung erholt zu haben. „Nach einem langen Jahr des Glaubens und der Versuche, bin ich nun stärker als vor meiner Komaerkrankung. Ich bin kein Roger oder Novak, aber ich freue mich, dass einige große Turniere mir Startplätze für mein Comeback zugesichert haben.“
Ein talentierter Tennisspieler, der aus dem Koma erwacht und auf der Profitour für Furore sorgen will? Es dauerte nicht lange, bis ausländische Medien diese scheinbar märchenhafte Story aufgriffen. Die französische Tennisseite TennisActu berichtete im September 2017 gar von genauen Teilnahmen in Rotterdam und Miami 2018.
Die britische Metro publizierte gar eine exklusive Story im November, die sie inzwischen gelöscht hat. Demnach habe das Koma sechs Monate angedauert. Die größte Waffe des Mazedoniers sei sein Aufschlag, ein regulärer Trainingspartner sei Viktor Troicki, der das auf Anfrage verneinte.
BBC-INTERVIEW ALS HÖHEPUNKT DES SCHWINDELS
Trainingsvideos auf Instagram zeigten in der Folge seine Comebackfortschritte. Offensichtlich, dass dort allerdings unterschiedliche Spieler gezeigt wurden. Einige Aufnahmen stammen vom Account des spanischen Nachwuchsspielers Cameron Henricy Trigolos.
Höhepunkt des medialen Aufstiegs war ein Neun-Minuten-Interview mit BBC 5 Live Radio, die Grnarov als aufstrebenden Nachwuchsspieler der ATP-Tour ankündigten. Insgesamt berichteten Medien aus Indien, Südamerika und Asien über den mutmaßlichen Schwindler.
NUR EIN OFFIZIELLES SPIEL IM ITF-PROFIL
Wie alle Medien zuvor wohl ohne die Vita des Mazedoniers zu prüfen. Es gibt eine reale Person unter diesem Namen und diese Person spielt mehr oder weniger auch Tennis. Offiziell hat er aber nur ein einziges Spiel bestritten – und 0:6, 0:6 verloren, im April 2017. Es handelte sich um ein kleines ITF-Event in Ägypten, sein offizielles ITF-Profil listet aber einen Rückzug auf. Das Spiel hat wohl nie stattgefunden.
Mazedonische Medien berichteten dennoch von zwei Siegen über zwei real existierende Jugendspieler, wie Rothenburg recherchierte. Der publizierende Journalist löschte die Berichte, als er erfuhr, dass es sich um eine Lüge handelte.
„ERGEBNISSE SAGEN MANCHMAL ALLES”
Zwei Jahre zuvor fand wohl wirklich ein Spiel mit Beteiligung des Mazedoniers statt. Ein 0:6, 0:6 gegen einen unbekannten Jugendspieler aus Serbien. Rothenberg erreichte den Gegner, Nikola Vukotic, der sich an das Duell im Jahr 2015 bei den Podgorica Open erinnerte. „Ergebnisse sagen manchmal alles”, erklärte der Gefragte, der zuvor ebenfalls nur ein Match gewonnen hatte.
Auch hier tauchten bereits mazedonische Siegesberichte auf. Angefangen hatte alles mit einem Auftritt in mazedonischen TV im Dezember 2014, nachdem Onlinemedien über erste Erfolge berichtet hatten, die aber niemals stattfanden. Der Moderator erklärte gegenüber Rothenberg anonym und schriftlich, dass er damals von den Erfolgen gelesen und den Youngster als gute Story gesehen habe.
2018 verschob der viel Umschriebene sein Comeback, angeblich wegen des Todes seiner Mutter. Auf Facebook postete seine Mutter aber eifrig weiter, wie Rothenberg heraussfand.
TOD DER MUTTER VORGETÄUSCHT?
Insgesamt belegte der Journalisat mehr Lügen als Wahrheiten. Mit mehreren hundert Boots, also erfundene Accounts auf Twitter, politischen Äußerungen, prominenten Fürsprechern (unter anderem folgte ihm Serena Williams nach seinen Äußerungen über Sandgren) und jeder Menge Unwahrheiten, die Medien ungeprüft aufnahmen, hat Grncarov zweifelhafte Berühmtheit erlangt.
Ben Rothenburg hat dem Spuck nun ein jähes Ende bereitet. Er schaffte es, ein schriftliches Gespräch in einem Chat mit dem Spieler zu arrangieren, das der Gefragte nach kritischen Fragen zu seinem Koma und den erfrundenen Matches abbrach. In der Zwischenzeit sind alle Accounts gelöscht worden. Die gesamte Story können Sie hier nachlesen.
Mazedonien gilt im Übrigen als das Land, das Fake News miterfunden hat. Im US-Wahlkampf machten einige hundert Fake News pro Donald Trump die Runde. In Mazedonien gibt es demnach wohl Dutzende, die extra an solchen Nachrichten arbeiten und tüfteln, bestätigt der Bericht.