Die Deutsch-Makedonische Gesellschaft mit Sitz in Berlin hat die wesentlichen Ergebnisse aus den vorgezogenen Neuwahlen in Mazedonien zusammengefasst.
Wahlen in Mazedonien - die albanische DUI als Königsmacher
Hintergrund: Warum vorgezogene Wahlen?
Am 5. Juni 2011 wurden in Mazedonien vorgezogene Neuwahlen durchgeführt. Nachdem die Opposition seit Ende 2010 Neuwahlen forderte und ab Januar 2011 das Parlament boykottierte, rief die Regierungskoalition von VMRO-DPMNE und DUI zu den Wahlen am 5. Juni 2011 auf. Die öffentliche Meinung hatte sich vor dem Hintergrund einer wirtschaftlich desaströsen Lage und keinerlei Fortkommen im Prozess der EU- und NATO-Integration zunehmend regierungskritisch entwickelt. Premierminister Gruevski sah seine Regierungskoalition daher bei einem frühen Wahltermin im Vorteil.
Themen und Form des Wahlkampfes
Über 30% der mazedonischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei 32% (die Jugendarbeitslosigkeit beträgt ca. 60%), Investitionen bleiben weitgehend aus. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass alle Parteien in ihren Wahlprogrammen wirtschafts- und sozialpolitische Lösungsvorschläge zur Verbesserung der Situation herausstellten. Andere Themen des Wahlkampfes waren die öffentliche Gesundheitspolitik, die Bekämpfung von Korruption und Kriminalität sowie die überfälligen Reformen im Justizsektor und in der Öffentlichen Verwaltung.
Weiterhin definierte sich der Wahlkampf beider Lager über die Frage des EU- und NATO- Beitritts des Landes. Während sich die VMRO-DPMNE durch die Realisierung des Projekts „Skopje 2014″ (im Rahmen dessen das Stadtbild Skopjes durch historisierende Statuen und klassizistische Baudenkmäler ‚bereichert’ werden) als Vorkämpfer für die nationale mazedonische Identität profilierte, präsentierte sich die sozialdemokratische SDSM als Garant für eine bessere europäische Perspektive. Mit der Ernennung von Radmila Šekerinska zur Spitzenkandidatin, die als Europaministerin im Dezember 2005 maßgeblich an der Zuerkennung des EU-Kandidatenstatus für Mazedonien beteiligt war, wurde von Seiten der SDSM diese pro-europäische Politik unterstrichen.
VMRO-DMNE mobilisierte für den Wahlkampf erhebliche Summen. Fast 100% der Plakatwände im Land wurden von VMRO-DPMNE angemietet. Die Präsenz der Regierungsparteien in den Medien war sehr viel höher als die der Opposition. Einzig der regierungskritische Fernsehsender A 1 berichtete ausführlich über die Programme der Oppositionsparteien. In Vorwahlanalysen wurde vermutet, dass die Regierungsparteien VMRO-DPMNE und DUI Gelder aus dem Staatshaushalt für den Wahlkampf zweckentfremdet haben könnten1.
Insgesamt war der Wahlkampf von gegenseitigen Anschuldigungen geprägt. VMRODPMNE, die in den letzten Jahren die Stellen im öffentlichen Sektor ausgebaut und mit eigenen Parteimitgliedern besetzt hatte, übte während des Wahlkampfes starken Druck auf diese Angestellten aus. Jeder Staatsangestellte sollte mindestens 15 Stimmen für die ethnisch-mazedonische Regierungspartei garantieren; aus Angst um den möglichen Verlust des Arbeitsplatzes befolgte die Mehrheit der Angestellten im öffentlichen Sektor offenbardiese Aufforderung 2.
Die sozialdemokratische SDSM führte einen für Mazedonien neuen Wahlkampfstil ein: Durch systematische Hausbesuche wurde der direkte Kontakt zur Bevölkerung gesucht.
Wahlergebnis
Nach der Auszählung aller Stimmen ist das von VMRO-DPMNE geführte Wahlbündnis mit 39% der Stimmen der Wahlsieger. Voraussichtlich wird dieses Bündnis im nächsten Parlament 56 Sitze erhalten. Das von der sozialdemokratischen SDSM geführte Bündnis wurde zweitstärkste Kraft mit 32,78% und voraussichtlich 43 Sitzen. Die übrigen Sitze teilen sich die drei albanischen Parteien DUI (10,24% / 14 Sitze), DPA (5,89% / 8 Sitze) und die erstmals angetretene NDR (2,67 % / 2 Sitze) 3.
An diesen vorläufigen Ergebnissen wird sich voraussichtlich nichts Entscheidendes mehr ändern. Die einzige Unklarheit besteht bezüglich der statistischen Bewertung der von VMRO -NP gewonnenen Stimmen; u.U. wird diese Partei einen Sitz gewinnen. Keine der anderen Parteien, die sich keinem Wahlbündnis angeschlossen hatten, schaffte den Sprung ins Parlament.
Die Wahlbeteiligung war mit 63,36% deutlich höher als bei den letzten Parlamentswahlen 2008. Dies ist neben der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierungspolitik vor allem auf Kampagnen verschiedener Organisationen der Zivilgesellschaft zurückzuführen, die durch eine Serie von Workshops, Seminaren und öffentlichen Debatten im ganzen Land immer wieder auf die Bedeutung der Rolle des Wählers in einer parlamentarischen Demokratie hingewiesen hatten.
Nur in den von der albanischen Bevölkerung bewohnten Gebieten war die Wahlbeteiligung geringer als 2008. Vor allem die weitgehend inaktive Rolle der DUI in der Regierungskoalition und die geringen und langsamen Fortschritte in der Umsetzung des Ohrid-Rahmenabkommens sorgten in großen Teilen der albanischen Bevölkerung für Unverständnis. Neben den 7.800 mazedonischen Wahlbeobachtern waren auch 480 internationale Wahlbeobachter in Mazedonien, die bestätigen, dass die Wahlen bis auf sehr wenige Ausnahmen friedlich und gewaltlos verliefen.
Wer wird regieren?
Das Parlament muss spätestens bis zum 25. Juni 2011 zu einer konstituierenden Sitzung zusammentreten. Innerhalb der folgenden 10 Tage wird der Staatspräsident der stärksten Partei den Auftrag zur Regierungsbildung geben. Eine mehrheitsfähige Koalition muss sich innerhalb von 20 Tagen im Parlament zur Wahl stellen. Sollte dies nicht gelingen, wird die zweitstärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragt. Spätestens am 10. August 2011 muss die neue Regierung ihr Amt aufnehmen.
Rechnerisch sind drei Koalitionen möglich: VMRO-DPMNE und DUI (70 Sitze), VMRODPMNE mit DPA (64 Sitze) und SDSM mit DUI und DPA (65 Sitze). Niemand wäre überrascht, wenn die stärkste ethnisch-mazedonische Partei mit der stärksten albanischen Partei die Regierungskoalition fortsetzen würde. Auf der anderen Seite ist die Mehrheit der DUI-Wähler gegen eine Fortsetzung der Koalition mit VMRO-DPMNE. Gegen eine Koalition der VMRO-DPMNE mit der zweitstärksten albanischen Partei DPA spricht, dass die letzte, 2006 geformte Koalition 2008 zerbrach, nachdem DUI zu weitreichenden, außerparlamentarischen Protesten aufgerufen hatte. Mit einer ähnlichen, sicher destabilisierend wirkenden, Reaktion müsste wieder gerechnet werden. Die mazedonischen Medien titelten am Tag nach den Wahlen: „VMRO-DPMNE ist der Wahlsieger, aber DUI bestimmt die Regierungsbildung.” 4.
Es steht zu befürchten, dass eine von der VMRO-DPMNE geführte Regierung in erster Linie auf eine weiterhin nationalistische Politik setzen, keine Lösung für den Namenstreit mit Griechenland anstreben und das Land damit seiner europäischen Perspektive auch mittel- und langfristig berauben würde. Eine von der SDSM geführte Koalition mit den beiden albanischen Parteien DUI und DPA wäre möglich, wenn DUI sich gegen die nationalistische Politik von VMRO-DPMNE stellen und die Führung der SDSM akzeptieren würde. Alle Beobachter gehen davon aus, dass eine solche Regierungskoalition neue Impulse für die Beilegung des Namenstreits mit Griechenland setzen würde. Da die albanischen Parteien eine Zusammenarbeit vor den Wahlen kategorisch ausgeschlossen haben, sind die Chancen für ein Zustandekommen dieser Konstellation jedoch äußerst gering. In den nächsten Tagen werden Sondierungsgespräche zwischen den Beteiligten stattfinden. Die größte Entscheidungsmacht liegt bei DUI.