Festwochen: Andriy Zholdak und das Mazedonisches Nationaltheater Skopje bringen Stanisław Lems „Solaris“ nach Wien.
Man scheint in permanenter Seenot in dieser Bilderflut, die unaufhörlich in das vor Erwartung weit aufgerissene Auge schwappt. Metaphorische, an Traumsequenzen erinnernde surreale Vorstellungsfetzen sollten, so die anzunehmende Regieidee, den Bühnenraum und die Kopfwelten des Publikums bestimmen. Bruchteile, Fetzen eben, sind es auch, die an Stanisław Lems 1961 erschienenen utopischen Roman „Solaris“ erinnern.
Der über Mazedoniens Grenzen hinaus auch aufgrund seiner Filmrollen geschätzte Schauspieler Dejan Lili verkörpert Kris Kelvin, den Psychologen, der in der abgedrifteten Raumstation auf dem Planeten Solaris nach dem Rechten sehen soll und im Plasma-Ozean in Feindkontakt mit dem eigenen Ich gerät. Auf dieses Ich setzt der ukrainische Regisseur Andriy Zholdak seinen Fokus und scheitert auf hohem Niveau, begleitet von massiven Fluchtbewegungen des Premierenpublikums, das sich, trotz Fußball-EM-Eröffnung mit Spannung ins Museumsquartier aufgemacht hatte. Zholdak, der gerne als Theaterberserker titulierte Mann aus dem Osten, lebt nach dem Aufführungsverbot seiner „Romeo und Julia“-Adaption am von ihm geleiteten Charkiwer Taras Shevchenko Academic Drama Theater seit Mitte der Nullerjahre in Berlin und trägt von dort aus seine aus Genie gepaart mit Manie gespeiste Theaterhandschrift in die Welt. Die nun in Kooperation zwischen Festwochen und dem Mazedonischen Nationaltheater Skopje produzierte Lem-Adaption konzentriert sich ganz auf die Innenwelten des Protagonisten Kelvin, seine Ängste, Obsessionen und Traumata. Dafür findet der Künstler in Zusammenarbeit mit der lettischen Bühnenzauberin Monika Pormale zum Teil berückend stimmige Bilder, real wie in den Videoeinspielungen. Auch der Live-Kamera gelingen, vor allen im zweiten Teil des (über-)langen Abends, Bildausschnitte, die an Stillleben niederländischer Meister erinnern.
Problematisch an Zholdaks Zugang ist jedoch der durchaus selbstbewusste, für den Zuseher jedoch enervierende Verzicht auf Inhalt – beim Anspruch Lems Meisterwerk „Solaris“ zu begegnen eine Vermessenheit – und Schauspiel. Die Akteure des Mazedonischen Nationaltheaters, unterstützt von beeindruckenden Kinderdarstellern, sind eingespannt in ein Korsett von kommentierenden Geräuschen, reduziert auf minimalen Text und gezwungen, ohne Entfaltungsmöglichkeiten in den Bildern zu funktionieren. Das setzen sie mit bewundernswerter Disziplin um, zu Recht akklamiert von einem sichtlich erschöpften (Rest-) Publikum.