Frankfurter Rundschau: Die Hauptstadt der Fake News - Veles in Mazedonien

„Mit dem ganzen Trump-Ding haben ich und viele andere viel Kohle gemacht“: Zahlreiche Fake-News und -Webseiten entstehen in einer mazedonischen Kleinstadt. Denn „geile“ Neuigkeiten verkaufen sich besser als nüchterne Fakten.


Er schrieb, dass Trump die Mauer zu Mexiko baue oder, dass Trump die Mauer zu Mexiko nicht baue. „Mauer“ war einer der Wörter, die gut funktionierten. „Ich habe jeden Tag Foxnews und CNN gelesen und dann habe ich, das, was die verfasst haben, mit eigenen Wörtern nochmals geschrieben“, erklärt Bojko sein relativ simples Business-Modell. Er betrieb eine mittlerweile gesperrte Webseite namens „americapolitic.com“. Während des US-Wahlkampfes verdiente er das meiste Geld – im Oktober 2016 waren es 80 000 Dollar. „Die Verdienstmöglichkeiten waren neu, es war ja der erste Facebook-Wahlkampf“, meint der 27-jährige Mazedonier.

Nun bereitet er sich auf den nächsten US-Wahlkampf vor, bei dem er 2020 absahnen will. „Ich betreibe jetzt drei Seiten, zur Zeit habe ich nur 30 000 Follower, aber bis zu den Wahlen wird die Seite ganz groß sein.“ Mit Trump könne man auch jetzt viel Geld verdienen. Etwa, wenn man schreibt, dass er Hillary Clinton plötzlich doch sehr schätze und sie nun beste Freunde seien. So etwas zieht beim Leser. Bojko ist es egal, ob seine Geschichten wahr oder falsch sind, welche Ideologie er transportiert, es geht ihm darum, die Leute dazu zu bringen, irgendetwas anzuklicken, weil dann Geld auf sein Konto kommt.

„Fast alles, was ich geschrieben habe, war irgendwie wahr“, sagt der junge Mann aus der zentralmazedonischen Stadt Veles. Es gäbe aber auch Leute, die alles erfinden würden. Sie gelten in Veles mittlerweile als die, „die das schnelle Geld machen wollen“, im Gegensatz zu denen die „nachhaltig“ arbeiten. „Nachhaltig“ bedeutet hier, dass man geschickter plagiiert und paraphrasiert, damit die Webseite über Jahre hält, Hunderttausende „Viewer“ und „Klicks“ bekommt und die Kontrollen von Google und Facebook überlistet. Einige Leute aus Veles wollen mit dem Betreiben von Plagiats-Webseiten schließlich ihr gesamtes Leben aufbauen.

Der digitale Goldrausch in der mazedonischen Kleinstadt hat manche bereits so reich gemacht, dass sie sich Autos oder Wohnungen gekauft und Häuser mit Swimmingpools gebaut haben. Sie versprühten in der Ortsdisko Champagner, ihr Leben drehte sich um 180 Grad.

Keine Perspektiven außer Fake News
Es gibt Hunderte Orte wie Veles auf dem Balkan, in denen junge Menschen keine Arbeit, keine Perspektiven, keine Zuversicht haben und nicht wissen, wofür sie sich anstrengen sollen. Es gibt auch Hunderte Orte wie Veles, wo die Industrie in den 1990er Jahren zusammengebrochen ist, praktisch alle Arbeitsplätze verloren gingen und seither höchstens noch die Erinnerung der Eltern daran existiert, dass das Leben einmal relativ normal war. An Veles ist also nichts Außergewöhnliches, außer vielleicht, dass es malerisch zwischen den Hügeln liegt, der Fluss Vardar eine Kurve mitten in der Stadt macht, dass die einspurige Eisenbahnlinie mitten zwischen den Häusern verläuft und die Krähen ein wahnsinniges Theater machen, wenn sie sich auf dem großen Baum neben den Brunnen niederlassen.

Vielleicht waren die Leute aus Veles also einfach ein bisschen schlauer und geschäftstüchtiger, als andere aus irgendeinem balkanischen Ort. Jene jungen Menschen, die News erfinden, um sie auf ihren Webseiten zu publizieren, sind weder gutausgebildete IT-Fachleute, noch Trump-Anhänger oder pathologische Lügner, sie sind einfach nur daran gewöhnt, alle möglichen Wege zu finden, um an Geld zu kommen. Und „alternative Fakten“ – wie sie die Trump-Administration wohl nennen würden – passen ganz gut zu den Veleschen „alternativen Verdienstmöglichkeiten“ am Rande der Legalität.

„Wir hatten vor ein paar Jahren einen gewissen Bekanntheitsgrad, weil aus Veles die sogenannte „Frankfurter Mafia“ stammte, die in Frankfurt und in Wien Drogen vertickte“, meint Bojko. Was wollt Ihr? Fake News sind doch besser als Drogen! So argumentiert man heute in Veles. Bojko ist ein wenig nervös. Nicht wegen eines schlechten Gewissens, das er als Plagiator haben sollte, sondern weil er Angst hat, mit Journalisten gesehen zu werden. „Wir dachten alle nicht, dass es so viel Geld bringen wird“, erzählt er vorsichtig. „Ich habe diese Webpage als Scherz begonnen, am Anfang 2010 waren wir nur vier, fünf Leute, die das gemacht haben.“ Manche schätzen, dass es in Veles heute 5000 solcher Webseiten gibt.

Geld durch Werbung
Geld mit Webseiten zu machen, die vorgeben, echte US-Medien zu sein, ist möglich, weil es „AdSense“ gibt. Der Online-Dienst platziert Werbung auf Webseiten außerhalb der eigenen. Zentral ist ein Algorithmus, der die Werbung an den Inhalt der Seite „anpasst“. Wenn es um Gesundheit geht, werden Medikamente beworben, geht es um Katzen, dann Katzenfutter. Jene Anzeige wird platziert, die die höchsten Umsätze generiert – dadurch profitiert auch der, der die Inhalte produziert. Mit einem Klick bei AdSense verdient man 20 Cent. 2012 wurden an jene, die einen AdSense-Account haben über sieben Milliarden Dollar gezahlt.

Bei den Webseiten geht es nicht um interessante, faktisch richtige, neue oder relevante Inhalte, sondern darum, dass der „Viewer“ mit einem Lockmittel dazu veranlasst wird, Werbung anzusehen. Der „Content“ ist nur der Lockstoff, damit der „Viewer“ zum Werbekunden wird. Und weil aufregende, überraschende, sensationelle, „geile“ Neuigkeiten sich besser verkaufen, als nüchterne Fakten, wurden die Jungs von Veles zu Experten der Empörung und Aufregung. Sie lernten schnell, was Klicks und Kohle brachte, „catchy headlines“ wie sie sagen, Schlagwörter wie „wow“, „unbeliedass man „das meiste Geld mit Politik verdienen kann, weil das das beliebteste Thema im Internet ist“.

Jeder will in Veles mitverdienen
Er selbst verfolgt Trump seit zehn Jahren, ihn hat der polternde Milliardär schon lange fasziniert. „Mit dem ganzen Trump-Ding haben ich und viele andere viel Kohle gemacht“, erzählt er. Einer der Jungs soll in Wien bereits vier Wohnungen gekauft haben, erzählt man sich in Veles. Andere seien nach Bulgarien oder nach Griechenland „ausgewandert“, weil sie Angst vor den mazedonischen Behörden haben.

Denn Inspektoren von diversen staatlichen Behörden sollen regelmäßig an den Türen der Web-Pioniere klopfen und sagen: „Entweder Ihr gebt uns zehn Prozent, oder wir entziehen Euch irgendeine Lizenz!“ Jeder will in Veles mitverdienen. Und auf dem gesamten Balkan missbrauchen Inspektoren – insbesondere von Finanzbehörden – ihre Stellung, um Leute, die nicht „kooperieren“, zu piesacken.

Doch nicht nur deshalb wollen die Faker von Veles ihre Namen nicht preisgeben. Man kann sie nur unter Zusicherung von strikten Sicherheitsvorkehrungen treffen, jenseits der Stadt, wo sie niemand sehen kann. Einer, der gegenüber BBC ausgepackt hatte, wurde im Nachhinein von der gesamten Stadt geächtet. Denn die Leute haben Angst, als Faker entlarvt zu werden und befinden sich in einem ständigen Wettkampf um Schlauheit und Schnelligkeit mit Google. Das Unternehmen spürt Copyrightverletzungen auf und sperrt dann die entsprechenden Webseiten. Und auch Facebook markiert die Links zu den Plagiats-Seiten, die in Facebookgruppen verbreitet werden, als Spam und löscht sie.

Richtig gut verdienen in Veles vielleicht 20 bis 30 Leute mit ihren Webseiten, viele mit US-Politik, viele mit Berichten über gesundes Essen oder Autos. Die Webseite „Healthyfoodhouse“ etwa hat laut den Angaben des Besitzers zehn Millionen Besucher, 70 Prozent davon kommen aus den USA und auf Facebook folgen der Fanpage angeblich 1,2 Millionen Menschen. Die Kasse klingelt, wenn man den Leuten erzählt, was passiert, wenn sie tagelang Gurken essen oder welche zehn Lebensmittel sie zu sich nehmen sollten, um keinen Krebs zu bekommen.

Die meisten Leute, die solche Webseiten betreiben, bekommen allerdings nur um die 500 Dollar pro Monat auf ihr Konto. Das ist aber trotzdem noch viel mehr, als sie mit einem normalen Job verdienen könnten. Der Durchschnittsnettoverdienst liegt in dem Balkanstaat bei 370 Euro.

Saskia ist eine intelligente junge Frau, die eigentlich als Lehrerin arbeiten möchte, aber von 200 Euro kann sie nicht leben. Sie schreibt Geschichten über amerikanische Autos. Die 24-Jährige kann perfekt Englisch – eine wichtige Voraussetzung, um am amerikanischen Markt zu bestehen. Denn die Webseiten der Faker von Veles erscheinen fast nur in den USA, in Europa kann man sie meist gar nicht sehen. Ein Klick von einem Amerikaner ist um vieles mehr wert, als einer von einem Europäer.

„Die Amerikaner kann man leider leichter manipulieren“, meint sie. Auf einer Webseite habe etwa gestanden, man solle eine Seife unters Bett legen, damit man in der Nacht keine Wadenkrämpfe bekomme. Saskia kann nicht verstehen, wieso man so etwas Dummes glauben könne. Die Viewer seien vielleicht einfach „naiv und gelangweilt“.

Zurzeit hat sie 70 000 Follower auf ihrer Fanpage auf Facebook, eine wirklich erfolgreiche Facebookseite könne aber bis zu einer Million haben. Die Fanpages könne man auch kaufen oder verkaufen. Wichtig sei zudem die Werbung für die eigene Webseite in Facebookgruppen. „Die Amerikaner machen ja über alles Gruppen, über Knoblauch, für Trump, gegen Trump“, meint Saskia lächelnd. Sie sieht diese Webseiten als „Möglichkeit zu überleben“ oder „nicht auswandern zu müssen“. „Hier in Mazedonien bist du entweder in einer Partei, oder du gehst ins Ausland oder du hast eine Webpage, dann bist du am freiesten“, resümiert Saskia.

Sie arbeitet mit drei Leuten zusammen – sie liefert den „Content“, einer gestaltet die Webseite und ein Social-Media-Experte sorgt für die Verbreitung. „Aber ich glaube, der Markt wird irgendwann saturiert sein und die Leute werden ‚catchy topics‘ meiden, weil sich dahinter keine relevanten Informationen verbergen.“ Zurzeit fallen offensichtlich noch genügend Viewer auf die Webseiten herein. Manche Geschichten auf den Fakepages von Veles, brachten eine Million Likes und wurden 100 000 mal geteilt. Den digitalen Goldrausch hat ein Mann namens Mirko Ceselkoski ausgelöst – er gibt mittlerweile Kurse für alle, die das Geschäft erlernen wollen.

Copyright-Rechte sind den meisten egal
Die mittlerweile gesperrten Webseiten aus Veles hießen „DailyInterestingThings.com“, „PoliticsHall.com“ oder „USAPolitics.co“. Dort war zum Beispiel zu lesen, dass Hillary Clinton angeklagt werde oder Trump jemanden geschlagen habe. Viele kopierten Webseiten der rechtsextremen Alt-Right-Ideologie in den USA, verwendeten Artikel von „Breitbart News“ und „NationalReport.net“. Copyright-Rechte oder bedenkliche Auswirkungen sind den meisten hier egal. Es geht nur darum, die eigene Viralität zu steigern.

Die Faker von Veles gehören zu einer zutiefst pragmatischen Generation, die mit politischer Propaganda, die nichts mit Fakten zu tun hat, aufgewachsen ist. Die letzten zehn Jahre regierte in Mazedonien eine Partei, die praktisch alle Medien unter Kontrolle hatte, die wiederum für das Regime verleumdeten, logen oder Lobhudeleien schrieben. Es war so schlimm, wie sonst nirgends auf dem Balkan. Und es ist kein Wunder, dass Faktentreue jenen, die in dieser Ära groß geworden sind, fremd ist.

Bojkos Seite hatte auf der Spitze des Wahlkampfs 1,6 Millionen Follower. Er nennt sein Geschäft mittlerweile „Medienhaus“. Vier bis fünf Leute arbeiten für ihn. „Es ist nichts illegal. Wer soll mich klagen? Herr Trump?“, sagt er schulterzuckend. Ob Leute wie Bojko Trump wirklich zum Wahlsieg verholfen haben, wird man nie wissenschaftlich eruieren können, sicher ist nur eines: Die Jungs aus Veles haben an dem Extrem-Politiker viel Geld verdient. Und das Fakertum in Veles sorgt zumindest dafür, dass manche jungen Mazedonier doch wieder eine Perspektive in ihrer Heimat sehen.

von Adelheid Wölfel