Die Wände sind mit Ikonen behangen, auf Metallständern brennen kleine Kerzen und die Sonnenstrahlen durchschneiden den dicken Weihrauchdunst im Raum. Leute treten ein, zünden neue Kerzen an, verharren einen Moment vor dem Altar und gehen wieder. Würden sie länger bleiben, die Kirche wäre binnen Minuten voll. Es ist Sonntagvormittag, Zeit für den Gottesdienst in der kleinsten Kirche Berlins. Gerade einmal 27 Quadratmeter ist sie groß – kaum mehr als ein Wohnzimmer. Platz für Stühle gibt es nicht, die Gläubigen stehen.
Es ist die mazedonisch-orthodoxe Gemeinde an der Osdorfer Straße in Lichterfelde. Statt einer Messe gibt es an diesem Tag eine formlose Andacht. Denn der Priester predigt anderswo. Die orthodoxen Gemeinden sind nicht groß genug, um sich einen Priester allein leisten zu können. Man teilt sich die Geistlichen. An solchen Tagen springt Teodor Makoski ein. Der 64-Jährige ist Laienpriester und sorgt zumindest für einen Hauch von Liturgie. In einem kleinen, von einer Stellwand abgetrennten Bereich hinter dem Altar legt er sich ein hell-türkises Gewand mit goldenem Saum um.
Makoski schaltet einen CD-Player ein. Der Gesang von Priestern ertönt und sorgt mit dem Weihrauch für eine andächtige Stimmung. „Das sind eigentlich Ostergesänge, aber das weiß hier keiner“, sagt er und lächelt verschmitzt. Makoski, heute im Ruhestand, war früher Elektriker bei Siemens. Er lebt in Tegel und fährt jeden Sonntag nach Lichterfelde in die kleine Kirche.
Seit vier Jahren gibt es das winzige Gotteshaus, Marke Eigenbau. Die Gemeindemitglieder, zu denen etwa 15 besonders aktive Familien zählen, errichteten ihre Kirche selbst, auf einem schmalen Grundstück direkt an der Fernbahnstrecke Richtung Dresden. „Jeder hat mit angepackt“, sagt Gemeindevorsitzender Dushko Lazarevski. Die Kirche wurde so groß wie das Geld eben reichte. Das Baumaterial steuerte Lazarevski selbst bei, er ist Bauunternehmer. Zur Weihung des Gotteshauses kam nicht nur ein orthodoxer Bischoff, auch Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche waren da.
Auf den ersten Blick wirkt die Kirche eher wie ein Gartenhaus, wäre da nicht das goldene Kreuz auf dem Dach. Aber für die seit 1991 bestehende Gemeinde war der Bau der Kirche ein großer Schritt nach vorn. „Wir mussten bis dahin für Gottesdienste, Hochzeiten und Taufen immer Räume anmieten“, sagt Lazarevski. „Das war sehr umständlich“.
Ikonen werden beschenkt, wenn sie in einem Traum vorkamen
Typisch für orthodoxe Kirchen sind die Ikonen, die eine wichtige Funktion haben. Robert Held, auch mazedonischer Abstammung, hat ein besonders farbenprächtiges Heiligenbild eigens von Zuhause mitgebracht. Es ist neu und soll jetzt mindestens 40 Tage im Kirchenraum stehen. „Dadurch wird die Ikone geweiht“, erklärt er. Hinter einigen der Bilder stecken Geldscheine, andere sind von Geschenken, wie Handtücher, Strumpfhosen oder Kaffee umstellt. Wenn jemand einen Traum habe, in dem eine Ikone vorkomme, sei es üblich, sie mit Gaben zu beschenken, erklärt ein älterer Herr. „Später versteigern wir das alles zugunsten der Gemeinde.“
Sobald genug Geld zusammengekommen ist, will die Gemeinde eine größere Kirche bauen, auf dem vorderen Teil des Grundstücks. Bis dahin soll das 27-Quadratmeter-Gotteshaus weiter verschönert werden, mit Klinkerfassade außen und Wandbemalungen innen.
Während es in anderen Kirchen üblich ist, nach dem Gottesdienst nach Hause zu gehen, scheint den Mazedoniern der Part nach dem religiösen Ritual besonders wichtig zu sein. In einem kleinen Anbau sitzen sie an Biertischen, essen selbstgebackenes Brot, trinken mazedonischen Schnaps. Draußen brutzeln Bratwürstchen und Peperoni auf einem Grill. Vielleicht ist auch dies der Grund, warum Lazarevski keine Angst vor einem leeren Gotteshaus hat. „Unsere Kirche ist sehr beliebt“, sagt er.
Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/4468124 ©2016